Beim Spinnen. Foto von P.P. Atzwanger, aus Wopfner 1995.
“Strickende Bäurin” von Peter Morandell, ca. 1975.
Geschichte des Spinnens
Spinnen ein sehr altes Handwerk. Die Menschheit spinnt schon seit 10.000 Jahren. Die ersten Funde von Spinnwirteln
und Geweberesten stammen aus dem Nahen Osten.
Auch in Tirol können das Handwerk des Spinnens und die Weiterverarbeitung der Wolle schon früh nachgewiesen
werden. Das ladinische Kulturinstitut „Micura´ de Rü“ veranlasste in Sotciastel in Abtei archäologische Grabungen,
die eine menschliche Dauersiedlung in den Dolomiten zutage förderten, die von ca. 2000 v. Chr. bis 1500 v Chr.
durchgehend bewohnt war. Es fanden sich sehr viele Schafknochen und Bestandteile eines Webstuhles, der zur
Verarbeitung der Schafwolle gedient haben dürfte. In den Dolomitentälern wurden Schafe in erster Linie für die
Wollgewinnung gehalten (Holzner 2002).
Inhalt der Seite
Von der Steinzeit bis in Mittelalter wurden Fasern in Europa
ausschließlich mit der Handspindel versponnen. Eine
Handspindel besteht aus einer Achse (meist ein Holzstab) und
einer symmetrischen Scheibe oder Kugel (genannt Wirtel),
welche die Drehung stabilisiert. Etwa zu Beginn des 13.
Jahrhunderts wurde die bisher senkrecht verwendete Fallspindel
waagrecht in ein vierbeiniges Gestell eingebaut. Die Spindel
wurde nun durch ein Schwungrad über einen Riemen
angetrieben. Bei den frühen Spinnrädern handelt es sich immer
um Spinnräder mit Handbetrieb. Die große Übersetzung von
Schwungrad zum Wirtel ermöglichte zwar eine Steigerung der Arbeitsleitung um das Doppelte im Vergleich zur
Handspindel. Allerdings konnte mit der Technik nur Baumwolle und Schafwolle versponnen werden, zudem nur in
lockerer Drehung und recht ungleichmäßig. Daher wurde das neuartige Spinnrad in der Tuchmacherei seinerzeit
sogar verboten (Vogt 2008).
Die nächsten großen Weiterentwicklungen am Spinnrad war die
Entstehung der Spinnflügel im 15. Jahrhundert. Wer das
Flügelspinnrad erfunden hat, ist nicht bekannt. Die älteste
Darstellung eines Flügelspinnrades stammt aus dem Jahr 1480 aus
dem Mittelalterlichen Hausbuch der Familie Waldburg-Wolfegg
(Walsh 2006).
Die Entwicklung der Spinnflügel ermöglichte das gleichzeitige
Verdrillen der Fasern und das Aufwickeln des Garns auf die Spule.
Im frühen 17. Jahrhundert wurde das Flügelspinnrad durch das
Hinzufügen eines Tretantriebes noch einmal verbessert. Durch den
Fußantrieb hatte die Spinnerin nun beide Hände für die Arbeit mit
der Wolle frei. Auch hier ist nicht bekannt, von wem diese
Entwicklung stammt (Walsh 2006).
Auch nach der Verbreitung des Spinnrades hatte die Handspindel
freilich nicht ausgedient und wird bis zum heutigen Tage
verwendet.
Die historischen Spinnstuben
Die Spinnstuben waren in ganz Europa verbreitet. Auf größeren Höfen war es wohl seit alters her Sitte, sich in einem
eigens beleuchteten Raum, der Lichtstube, zu versammeln, um gemeinsam Handarbeiten und handwerklichen Arbeiten
nachzugehen. Irgendwann wird das Spinnen zur Hauptbeschäftigung geworden sein, sodass man vielerorts von der
„Spinnstube“ zu sprechen begann (Lindner 2003).
Vielerorts trafen sich die jungen unverheirateten Frauen in Bauernhöfen wie auch in Bürgerhäusern, um in der
Spinnstube zu spinnen, zu stricken und an der Aussteuer zu arbeiten. Die Zusammenkünfte begannen meist zu Martini
(11. November) und dauerten entweder bis Lichtmess (2. Febuar) oder in manchen Gegenden bis Maria Verkündigung
(25. März). Das Spinnen in geselliger Runde verband die Arbeit mit der Unterhaltung. Spinnstuben waren auch wegen
ihrer Ersparnis an Licht- (man sammelte sich um eine Lichtquelle) und Heizmaterial zweckmäßig.
Man vertrieb sich die Zeit mit Singen, Geschichten
erzählen und Gesellschaftsspielen. Viele Märchen und
Lieder sind durch die Spinnstuben von einer Generation an
die nächste weitergegeben worden. Oft war es üblich, dass
sich zu fortgeschrittener Stunde die jungen Männer zu der
Spinnrunde gesellten, sodass die Spinnstube vielerorts, so
auch in Tirol bis zum Ende des 19. Jhdts, ein Treffpunkt für
die Jugend war. Manch sittenstrenger Pfarrer ermahnte die
Hausväter oder Hausmütter an ihre christliche Pflicht über
Zucht und Ordnung der ledigen Jugend zu wachen. Die
Spinnabende, an denen die jungen Männer zugelassen
wurden, waren im Winter der Ersatz für Kirchtag,
Hochzeiten und Festlichkeiten in der warmen Jahreszeit. Es
wurde dann weniger gesponnen, sondern musiziert,
getrunken und getanzt. So kamen die Spinnstuben auch in
Verruf. Auch im katholischen Tirol galten die Spinnstuben
allgemein als Stätten der Unzucht, doch findet man nur
Klagen und keine Verbote (Holzner 2002).
Postkartenmotiv, ca. 1900,
Orginal im Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck.
Spinnen in der Vergangenheit in Tirol
Im bäuerlichen Bereich wurde ausschließlich die Wolle der eigenen Schafe und Flachs aus eigenem Anbau
versponnen. Das Spinnen und auch das Färben von Wolle und Stoffen war eine Tätigkeit der Frauen. Der allgemeine
bäuerliche Kleidungsstoff, der Loden, wurde aus Schafwolle gesponnen, gewebt und anschließend gewalkt (d.h.
gefilzt). Früher wurden die Schafe nur einmal im Jahr geschoren, um eine ideale Wolllänge zum Verspinnen
hervorzubringen. Heute werden die Schafe größtenteils zweimal im Jahr geschoren und die Wolle fällt daher
entsprechend kürzer aus. Leinenstoffe wurden aus Flachs hergestellt. Die Vorbereitung der Flachsfasern war im
Vergleich zur Schafwolle sehr aufwändig. Auch das Spinnen des dünnen Garns aus der Flachsfaser nahm wesentlich
mehr Zeit in Anspruch als das Spinnen von Schafwolle.
Zur Aufbereitung von Flachs und Wolle standen neben
dem Spinnrad eine ganze Reihe von Werkzeugen zur
Verfügung, wie die Flachsgramml, das
Wollkartätschen und die Garnhaspl (Wopfner 1995).
Man war Stolz auf eine Vorratshaltung. Es wurden
nicht nur Lebensmittel wie Getreide, sondern auch
Stoffe wie Loden, Leinen und Leder eingelagert.
Kleidungsstücke gehörten neben Geld auch zur
Entlohnung der Knechte und Mägde. Außer der
Selbstversorgung mit Kleidung hatte in Tirol das
Spinnen und Weben auch ein wichtige Rolle als
Hausindustrie (Wopfner 1995).
Spinnen als Hausindustrie in Tirol
im 16. bis 19 Jahrhundert
In wirtschaftlich schlechten Zeiten war ein großer Teil der Landbevölkerung in Tirol auf Zuverdienst durch Verkauf
von im Haus hergestellter Produkten angewiesen. Die Produkte waren regional unterschiedlich, jedoch im ganzen
Land Tirol war das Spinnen sowie die Leinen- und Wollweberei weit verbreitet. Bäuerliche Weber lassen sich ab den
16. Jhdt nachweisen. In einzelnen Gemeinden, so zum Beispiel in Axams (bei Innsbruck), wo viel Flachs angebaut
wurde, wie auch im Ötz- und Pustertal und Pitztal, blühte im 18. und frühen 19. Jhdt. die Leinenweberei. Das Leinen
war nicht besonders fein, aber bekannt für seine Haltbarkeit und wurden bis nach Italien verkauft. Manche Bauern
verstanden sich auch auf das Weben kunstreicher Borten und Verzierungen (Wopfner 1995).
Ebenso war das Spinnen und Weben der Wolle und das anschließende Wirken (d.h Filzen) des Lodens weit
verbreitet. Die Kleinbauern im Sellrain-Tal und im benachbarten Ötztal verbrachten den Großteil des Winters mit
Spinnen, Lodenwirken oder Leinenweben. Das Spinne der Wolle besorgten die Frauen („Spulerinnen“), das Weben
die Männer. Man arbeitete im Winter von morgens bis abends und brachte dann 10-12 Ellen (7,8 bis 9,36 Meter)
Stoff fertig. Für den Ellen wurden durchschnittlich 18 Kreuzer verdient. Auch in den verschiedenen Tälern Südtirols
war das Weben von Loden weit verbreitet (Wopfner 1995). Als Nebenerwerb wurde auch bereits im 17. Jahrhundert
gestrickt. In dem durch den Niedergang des Bergbaus verelendeten Bergwerksbezirks Schwaz vermochten die
Bergknappen von ihren geringen Löhnen nicht zu leben. So kam es, dass die Frauen sich durch Spinnen und
Stricken einen Verdienst suchten. Hergestellt wurden Strümpfe und Kappen, die Fatzelhauben (auch Schwazer
Hauben genannt), welche dann auch Teil der Frauentracht wurden. Am Ende des 18. Jahrhunderts waren 400 Frauen
und Kinder der Bergarbeiter mit Spinnen und Stricken beschäftigt.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts sollen bis zu 1600
Frauen für den Erwerb gestrickt haben. Die Waren
der Schwazer Strickerinnnen gingen zum Teil bis
nach Bayern. Auch im Paznaun war Stricken ein
Zuverdienst, die fertigen Waren (Socken, Stümpfe
und Fäustlinge) wurden Großteils nach Vorarlberg
und in die Schweiz verkauft (Wopfner 1995). Im
dicht bevölkerten Tal Gröden, im Eisacktal im
Ahrntal und in Rietz im Oberinntal erwarben Frauen
und Männer sich einen Zusatzverdienst durch das
Klöppeln von Spitzen (Wopfner 1995).
Rückgang des Spinnens
Vor dem Aufkommen der Maschinenarbeit in den Fabriken bestand für die Bauern die Möglichkeit, als Nebenerwerb
Textilwaren herzustellen und zu verkaufen. Die Bauernschaft befasste sich mit der Herstellung von Waren für den
Verkauf nur, wenn man wie im Winter nicht vollends von der Landwirtschaft gefordert war. Verarbeitet wurden
Rohstoffe eigener Erzeugung, wie Schafwolle oder Flachs. Dadurch vermochten die Bauernfamilien vielfach die
Ware billiger herzustellen, als Handwerker in den Städten, welche Lohn und Material bezahlen mussten.
Dies änderte sich mit dem Aufkommen von Maschinen-Spinnereien. Mit der Massenerzeugung zu billigen Preisen
war der Bauer nicht mehr wettbewerbsfähig. Außerdem konnten Stoffe aus der Fabrik schneller der wechselnden
Mode angepasst werden, während im bäuerlichen Bereich mit einfachen Werkzeug und mit überlieferten
Arbeitstechniken gearbeitet wurde. Die Zunahme des Warenverkehrs erleichterte zusätzlich den Bezug von
modischer Fabrikswaren.
In Gegenden stärkeren Verkehrs begannen wohlhabende Bauern schon frühzeitig Kleiderstoffe für Festgewänder
zuzukaufen und sich der modischen Kleidung anzuschließen. Von staatlicher Seite versuchte man allerdings aus
wirtschaftlichen (und sittlichen) Erwägungen dem Kleideraufwand entgegenzutreten. Große Ausgaben für Kleider
hielt man bei Leuten mäßigen Einkommens für unangemessen, wirtschaftspolitisch widersprach der Ankauf der
Modestoffe, die meist im Ausland angefertigt wurden, den Bemühungen der Regierung, das Abströmen des Geldes
aus dem Inland zu verhindern. In diesem Zusammenhang entstanden zahlreiche Kleiderordnungen. So verbietet die
tirolische Polizeiordnung von 1573 ausdrücklich die Nachahmung modischen Brauches in der Bauernkleidung und
schreibt die Verwendung von Loden und anderen Geweben vor (Stolz 1949). In der Arbeitstracht haben sich die
Bauern sehr wohl an die heimischen Stoffe gehalten, jedoch weniger bei Festtagsbekleidung. Festtagskleider wurden
jedoch ein Leben lang getragen und oft noch an die nächste Generation weiter vererbt. Schon damals stellte man
fest, dass Frauen mehr der modischen Stoffe aus dem Ausland „bedurften“, während sich der Bauer zumeist in seine
eigenen Produkte kleidete (Wopfner 1995).
Der Bautypus “waagrechtes Spinnrad mit
Rahmen“ war in Tirol weit verbreitet.
Literaturliste
•
Claßen-Büttner Ulrike. Spinnst Du? Na klar! Geschichte, Technik und Bedeutung des Spinnens von der
Handspindel über das Spinnrad bis zu den Spinnmaschinen der Industriellen Revolution. Books on Demand:
Norderstedt (2009).
•
Holzner Waltraut. Von Schafen, Hirten und warmer Wolle. Athesia: Bozen (2002).
•
Lindner Elisabeth. Lasst uns gutes Garn spinnen. Die Spinnstube Geschichte und Geschichten aus Nordhessen.
Wartberg: Gudensberg (2003).
•
Stolz Otto. Rechtsgeschichte des Bauernstandes und der Landwirtschaft in Tirol und Vorarlberg. Ferrari-Auer:
Bozen (1949).
•
Vogt Sigrid. Geschichte und Bedeutung des Spinnrads in Europa. Shaker: Aachen (2008).
•
Walsh Penny. Handbuch Garne. Haupt: Bern (2007).
•
Wopfner Hermann. Bergbauernbuch Von Arbeit und Leben der Tiroler Bergbauern. Band 1: Siedlung und
Bevölkerungsgeschichte. Wagner: Innsbruck (1995).